Die neuen Freiangestellten und das mobile Arbeiten in der Easy Economy

Weder historisch noch biologisch sind wir dazu verdammt, uns jeden Morgen zur gleichen Zeit aus dem Bett zu quälen, um an einen Schreibtisch am anderen Ende der Stadt zu kommen. Das Büro ist eine gewachsene Kulturtechnik, und unterliegt als solche der ganz normalen Evolution sozialer Normen. Auch wenn es natürlich lange Zeit viele gute Gründe gab, ins Büro zu gehen: Hier fanden wir die Arbeitsmittel, die wir uns zu Hause niemals hätten leisten, geschweige denn Platz für diese schaffen können. Hier gab es denKopierer, den wir täglich benutzten, die Akten, in die wir schauten, die Ablagen und Archive mit denen wir arbeiteten, und die Kollegen, mit denen wir den Tratsch vom Wochenende austauschen mussten.

Heute klingt all das nach Schreibmaschine und Tageslichtprojektor, nach Linoleumboden und Kantine, also hoffnungslos altmodisch. Heute haben wir online Zugang zu den meisten Informationen und Archiven, sind Dokumente elektronisch, ist der Aktenlauf durch den digitalen Workflow ersetzt, die vielen großen Bürogeräte durch einen kleinen Computer und die Kollegen erreichen wir per Handy, Skype oder E-Mail besser als in der Kaffeeküche. Kurz: Das gute alte Büro mit Einzelzimmern rechts und links vom Gang ist eine Institution des letzten Jahrhunderts. Und damit werden auch Arbeitsweg und Rush-Hour obsolet.

Ich habe zu diesem Thema ein Buch geschrieben, das vergangenen Donnerstag unter dem Titel „Morgen komm ich später rein“ im Campus Verlag erschienen ist. Unter anderem der Spiegel, die FAZ und Robert Basic haben schon Artikel dazu gebracht.

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Die Grundthese des Buches lautet: Quasi unbemerkt verbreitet sich eine flexible Arbeitsform, die ich Easy Economy nenne. Auch Festangestellte arbeiten zunehmend wann und wo sie wollen. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft wird Telearbeit heute von 18,5 Prozent der deutschen Unternehmen angeboten – 2003 waren es noch 7,8 Prozent, 2000 erst 4 Prozent. Diese Entwicklung war uns schon zu Zeiten der New Economy als „Digitaler Nomadismus“ oder „Bedouining“ angekündigt worden. Aber erst seit ein zwei zwei Jahren haben wir Handys, die E-Mails empfangen. Haben billige, flächendeckende und breitbandige Internetverbindungen. Haben kollaborative Software, um miteinander zu arbeiten, ohne am selben Ort zu sein. Nach Zahlen der EU würden noch viel mehr Arbeitnehmer gern eine Form der Telearbeit praktizieren, nämlich zwei Drittel.

Derzeit entdecken viele Unternehmen, welche Vorteile sie davon haben, ihre Mitarbeiter nicht mehr jeden Tag ins Büro zu zitieren. Die Deutsche Bank versorgt im Rahmen des Programms „New Work Space“ gerade ihre Mitarbeiter mit Laptops und Blackberrys. 40 Prozent sind dann bald als „Mobile People“ viel unterwegs und rund 20 Prozent „Super-Mobile People“ können komplett arbeiten, wann und wo sie wollen. Wenn Sie in der Verwaltung des neuen BMW-Werks in Leipzig anrufen, werden Sie aufs Mobiltelefon umgeleitet und wissen nicht, wo der Angerufene sich gerade aufhält – vielleicht ist er sogar im Urlaub. Beim Duisburger Medizintechnik-Hersteller Stryker arbeiten selbst Führungskräfte auch von zu Hause. Und wer bei SAP anfängt, lernt als erstes, dass viele Büros leer sind und nur relativ selten persönlich kommuniziert wird, sondern über E-Mail und Handy, Wikis und Online-Konferenzen.

Und das Arbeiten wird immer mobiler. Die neueste Erfindung von T-Systems, des Geschäftskunden-Ablegers der Deutschen Telekom, ist ein Büro, das man in der Hosentasche mit sich herumtragen kann – auf einem USB-Stick sind alle Applikationen, also Passwörter und Programme gespeichert, die man für seine Arbeit braucht. Steckt man diesen Stick nun in einen beliebigen Computer mit Internet-Zugang, öffnet sich die vertraute Arbeitsumgebung inklusive Datenbanken, Nachrichten, laufenden Projekten und mobiler Internettelefonie. Nachdem man ein wenig gearbeitet hat, speichert man, schließt alle Anwendungen, zieht den Stick wieder aus dem Computer und hinterlässt angeblich keine elektronischen Spuren auf dem Gerät.

Selbst hochsensible Firmenvorgänge könnten laut T-Systems so komfortabel von einem Internet-Café am anderen Ende der Welt erledigt werden. Wobei die häufigsten Anwender der neuen Technologie, die unter dem Namen „My Access Key“ – kurz: MAX – vermarktet wird, wahrscheinlich Geschäftsreisende sein werden, die sich in auswärtigen Filialen der eigenen Firma an einen freien Rechner setzen und arbeiten wollen, ohne immer ein Laptop herumzuschleppen. Die Daten auf dem Stick sind passwortgeschützt und verschlüsselt und der Stick kann aus der Entfernung deaktiviert werden, falls er mal verloren geht – anders als ein Laptop, das ja zudem noch alle sensiblen Dateien auf der Festplatte hat. Vergleichbare Lösungen sind auch mit Open-Source-Software machbar.

Firmen finden so etwas zunehmend interessant: Auf der Cebit war MAX am Telekom-Stand permanent umlagert. Unternehmen die großen Wert darauf legen, dass ihre Mitarbeiter mobil arbeiten können und zu jeder Zeit, von jedem Ort Zugriff auf Applikationen haben, schauten sich die Technik an, aber auch Firmen, die viele Heimarbeitsplätze haben. Dann stellt der Arbeitgeber nicht mehr einen kompletten PC, sondern nur noch den USB-Stick – Rechner und DSL-Leitung hat ja heute fast jeder zu Hause.

MAX ist nur ein Beispiel von vielen. Wir sind die erste Generation, die sich vom Schreibtischzwang emanzipieren wird. Zum ersten Mal in der Geschichte können Festangestellte so arbeiten wie Freiberufler – ohne Anwesenheitspflicht und abgesessene Kernarbeitszeiteit. Ich nenne das die neuen Freiangestellten.

Man geht immer noch manchmal ins Büro, aber vielleicht nur zwei Tage pro Woche oder nur drei Stunden am Tag. So kann man zwischendurch Erledigungen machen, hat Zeit für Freunde und Familie. Man verbringt nicht mehr den größten Teil seiner wachen Zeit im Büro, wo man eh ständig durch nervige Kollegen, Telefonate, E-Mails und Meetings abgelenkt wird und oft gar nicht richtig zum Arbeiten kommt.

Denn viele Untersuchungen belegen, dass es im Büro durch Ineffizienz und Ablenkung dramatische Verluste an Produktivität gibt. Wenn Sie sich hingegen Ihre Arbeit selbst einteilen können, wenn Sie dann arbeiten, wenn Sie sich am fittesten fühlen und nachdem sie dringende Privatsachen erledigt haben, dann schaffen sie die Arbeit von neun Stunden in fünf. Der Rest ist gewonnene Freizeit. Dadurch steigt übrigens auch ihr relativer Stundenlohn dramatisch. Im Buch gibt es viele Beispiele, wie man seine Produktivität steigert und Ablenkung reduziert.

Wir leben in der Informationsgesellschaft, aber arbeiten oft noch nach den Regeln der Industriegesellschaft. Das muss sich ändern, schon damit Deutschland in einer global vernetzten Wirtschaft mithalten kann.

3 Gedanken zu „Die neuen Freiangestellten und das mobile Arbeiten in der Easy Economy“

  1. Lieber Markus Albers,

    Bücher zu dem Thema sind aus meiner Sicht immer gut, denn es sind Impulse, die eigenen Organisation und Verhaltenskultur zu überdenken, um in einer komplexen und dynamischen Welt „work-life-balance“ zu behalten oder zurück zu gewinnen.

    Die Zahl zum „Angebot“ der Telearbeit ist allerdings eine quantitative und sagt mir zu wenig zur „Gesamt-Kultur“ Mobilen-Arbeitens in den Unternehmen aus. Nach meiner Erfahrung liegt in der Kultur, nicht in der Technik, die größte Hürde bei den Angestellten und Unternehmen. Und das, da bin ich überzeugt, wird noch dauern … Insofern kann ich Deinem Schlussappell nur vollstens zustimmen!

    Das Experiment der Deutschen Bank habe ich 1997 (!!!) selber in meinem Unternehmen durchgeführt und alle Arbeitsplätze in Kontakt & Organisation mit damals ziemlich teuren Notebooks ausgestattet. Zum einen aus ästhetischen Gründen, weil Platz auf dem Schreibtisch sein sollte und die Räume durch Technik nicht verschandelt werden sollten. Zum anderen, weil ich meinen Mitarbeitern Flexibilität und Mobilität gewähren wollte und um zugleich die interne „Conectivity“ zu erhöhen Gleichzeitig gab es keine festen Arbeitsplätze mehr (Stichwort Desksharing). Das Ergebnis war eher ernüchternd: Von den meisten Mitarbeiten wurde der Wunsch nach einem „richtigen“ Computer ( = Desktop) und einem „eigenen“ Arbeitsplatz offen ausgesprochen …

    Immerhin, die zahlreichen „positven“ Kommentare zu Deinem Post bei „Robert“ machen Hoffnung und auch das iPhone schafft es ja vielleicht ein wenig „Kultur“ zu verändern ,-)

    Gruß, jo)

    PS. E-Mails auf Handys gibt`s dann doch schon etwas länger. Ich selber habe bereits im Jahr 2000 auf dem Viktualienmarkt in München gesessen und meine Mails bei „einer Brezen und einem Mas“ in der Sonne bearbeitet.

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